A139 ne A133
"Frühling im Bergell".
Öl auf Leinwand,
mgr. u.r., verso sig., dat. 1912 u. bez. "Stampa",
65,5x60,5 cm
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Provenienz: Sammlung Karl Balsiger, Solothurn; Privatbesitz, Schweiz; Koller Auktionen, Zürich, 20. Juni 2008, Lot-Nr. 3044; Privatbesitz, Schweiz.
Literatur: Elisabeth Esther Köhler: Giovanni Giacometti 1868-1933. Leben und Werk, Zürich 1969, S. 119, Nr. 208; Paul Müller/Viola Radlach, Giovanni Giacometti 1868-1933. Werkkatalog der Gemälde, Bd. II-2, Zürich 1997, S. 360, Nr. 1912.42 (mit Abbildung S. 361).
"Das Landschaftsbild ist eng mit dem Leben seines Schöpfers verbunden. Giovanni Giacometti stellte seine Staffelei an einem sonnigen Morgen im späten Frühling oder Frühsommer des Jahres 1912 auf einer Anhöhe oberhalb von Borgonovo auf. In Borgonovo, wo Annetta aufgewachsen war, lebte das junge Paar nach seiner Hochzeit im Jahr 1900, hier wurden Alberto, Diego und Ottilia geboren, bevor die Familie 1905 in die zugehörige Gemeinde Stampa übersiedelte; und hier, bei der Kirche San Giorgio, am rechten Bildrand erkennbar, befindet sich auch die Grablege der Familie Giacometti.
Der Maler blickte über die hellrot leuchtende Blumenwiese auf eine Talsenke, in deren Tiefe die Maira strömt. Jenseits des Flusses dehnen sich weitere Wiesen, von Büschen umsäumt, aus. Im Hintergrund glitzern die Dächer des Weilers in der Sonne vor der hochragenden, noch im tiefen Schatten liegenden Gebirgswand der Bergeller Alpen.
Die kleinen Hochebenen auf der Südwestseite des Tals bildeten ein beliebtes Ausflugsziel für Annetta und die Kinder; auf einem Gemälde von 1908 hielt Giacometti sie bei einem Spaziergang in der Herbstsonne fest. Die ersten Sonnenstrahlen im Februar sammelten sich hier, noch bevor sie gegen Ende des Winters den Talboden erreichten. In seiner Korrespondenz bezeichnete er die Sonne immer wieder als einen eigentlichen Motor seines Lebens.
In dem kräftigen Orangerosa der Wildblumen im Vordergrund des Bildes - vermutlich Wiesensauerampfer oder Weidenröschen - scheint sich ihre Kraft zu bündeln. Mit breiten, dynamischen Pinselzügen steigerte Giacometti ihre Wirkung, einer Dynamik, die auch die Darstellung der Mäher mit ihren breitkrempigen Hüten umfasst, deren Haltungen und Bewegungen meisterhaft in Andeutungen und Kürzeln charakterisiert sind.
Dem Orangerot der Blumenwiese steht das Blauviolett der Bergwand als steigernder Komplementärkontrast gegenüber, während sich im Grün der Wiesen in der Bildmitte sowohl orangefarbene als auch blaue Spuren in gedämpfter Tonalität wiederfinden. Giacometti beherrschte das feine Spiel der Farben und formalen Rhythmen miteinander und gegeneinander ebenso wie die Kunst, das Wesentliche eines Gegenstandes zu erfassen und wiederzugeben; hinzu kamen ein untrüglicher Farbensinn und sein intuitives Gespür für die Ausbalancierung der Gewichte.
Als Quelle von Vitalität, aber auch als Lichtquelle war die Sonne für ihn von eminenter Bedeutung. Zeitlebens rang er um die Darstellung des Lichts in seiner Malerei. Auf der Suche nach einer adäquaten, 'lichthaltigen' Bildwirkung hatten ihn um die Jahrhundertwende die Gemälde von Giovanni Segantini begeistert, und er integrierte dessen divisionistische Technik mit feinsten, nebeneinander liegenden verschiedenfarbigen Pinselstrichen in seine eigene Malweise. Im Laufe der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts gewannen die einzelnen Pinselstriche an Ausdehnung und formaler Autonomie und verschmolzen gleichzeitig zu einem leuchtenden, ausdrucksstarken Farbengewebe.
Es ging Giacometti nie allein um formale Werte; so lehnte er das Streben nach 'dekorativer Vereinfachung' ab, bezeichnete es als 'Berechnung' und dessen Ergebnis als oberflächliche Dekoration. Hingegen mache das 'Sehen (...), Empfinden und Erfülltsein vom Gesehenen' den Künstler aus, sagte er einmal im Gespräch mit einem Schüler, und in einem Schreiben an seinen Winterthurer Sammler Richard Bühler weitete er den Gedanken aus, indem er den Betrachter mit einbezog: 'Der Wert eines Kunstwerkes', schrieb er im Juli 1911, 'steht in direktem Verhältnis zur Stärke der inneren Erregung, mit der der Künstler sein Motiv erlebt, und zur Fähigkeit des Künstlers, diese Erregung dem Beschauer zu übermitteln.'
Die Motive fand Giacometti in seiner Familie und in der ihn umgebenden Natur, die er liebte, im Bergell wie im Oberengadin. Und es gelang ihm, diese Liebe und diese Begeisterung in seiner Malerei zum Ausdruck zu bringen. Solcher Art emotionale wie auch sinnliche, wahrnehmungsspezifische Werte sind es, die - zusätzlich zu seiner handwerklichen Virtuosität - die ungemeine Suggestivkraft seiner Werke ausmachen.
Um 1912, zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Gemäldes, hatte sich seine finanzielle Situation nach schwierigen Anfängen konsolidiert. Dazu hatten Ausstellungen in namhaften Museen und Galerien, etwa in Zürich, Genf oder München, beigetragen; bedeutende Schweizer Sammler und Sammlerinnen waren auf ihn aufmerksam geworden, darunter Oscar Miller, Richard Kisling, Josef Müller, Richard Bühler und Hedy Hahnloser. 1922 kam Karl Balsiger hinzu, ein Solothurner Fabrikant, der dem Künstler freundschaftlich verbunden war und seine Verehrung in einer mindestens 28 Bilder umfassenden Sammlung bekundete. Auch das vorliegende Werk gehörte dazu, das bis in die Gegenwart hinein in der Familie verblieb."
Wir danken Viola Radlach, Zürich, für den Katalogbeitrag.
Provenance: Karl Balsiger Collection, Solothurn; private property, Switzerland; Koller Auktionen, Zurich, June 20, 2008, lot-no. 3044; private property, Switzerland.
Literature: Elisabeth Esther Köhler, Giovanni Giacometti 1868-1933. Leben und Werk, Zurich 1969, p. 119, no. 208; Paul Müller/Viola Radlach, Giovanni Giacometti 1868-1933. Werkkatalog der Gemälde, vol. II-2, Zurich 1997, p. 360, no. 1912.42 (illustrated p. 361).
"This landscape painting is closely linked to the life of its creator. Giovanni Giacometti set up his easel on a sunny morning in late spring or early summer of 1912 on a hill above Borgonovo. Annetta had grown up in Borgonovo, and this is where the young couple used to live after their marriage in 1900; Alberto, Diego and Ottilia were also born here, before the family moved to the nearby village of Stampa in 1905; Moreover, it is here, near the church of San Giorgio, visible at the right edge of the picture, that the Giacometti family is buried.
The painter had a view over the bright red flower meadow down to a valley basin, in the depth of which flows the river Maira. Across the river, wider meadows, fringed by bushes, stretch out. The roofs of the hamlet in the background are glistening in the sun against the towering mountain wall of the Bregaglia Alps, which is still in deep shadow. The small plateaus on the southwest side of the valley became a favorite destination for Annetta and the children; in a painting from 1908, Giacometti captured them on a walk in the autumn sun. The first rays of sunshine gathered here each February, well before they reached the valley floor by the end of winter. Giacometti referred to the sun many times through his correspondence as the true driving force of his life.
In the bold orangish pink of the wildflowers in the foreground - which are probably meadow sorrel or willowherb - the power of the work appears to be concentrated. Giacometti heightened their effect with broad, dynamic brushstrokes, as well as in the depiction of the mowers with their wide-brimmed hats, whose postures and movements are masterfully characterized in hints and abbreviations. The red and orange of the flower meadow is contrasted with the blue-violet of the mountain wall as an enhancing complementary contrast, while the green of the meadows in the center of the picture contains traces of both orange and blue in a subdued tonality. Giacometti knew how to play colors and formal rhythms with and against each other as well as the art of capturing and reproducing the essence of an object; he also had an unerring sense of color and an intuitive feeling for balance.
For Giacometti, the sun was of eminent importance as a source of vitality, but also as a source of light. The artist strived constantly for the representation of light in his painting. Seeking an accurate, 'light-containing' pictorial effect, he had been inspired by the paintings of Giovanni Segantini at the turn of the century. He adopted Segantini's divisionist technique with finest, parallel brushstrokes of different colors into his own painting style. During the first two decades of the 20th century, the individual brushstrokes gained in extension and formal autonomy and at the same time merged into a luminous, expressive fabric of color.
Giacometti was never solely concerned with formal values; he rejected the pursuit of 'decorative simplification', calling it 'calculation' and its result a superficial decoration. In contrast, 'seeing (...), feeling and being suffused by what is seen' is what defines the artist, he once said in a conversation with a student, and in a letter to his Winterthur collector Richard Bühler he further explained the idea by including the viewer: 'The value of a work of art,' he wrote in July 1911, 'is in direct proportion to the strength of the inner excitement with which the artist experiences his motif, and to the artist's ability to convey this excitement to the viewer'. Giacometti found his motifs in his family and in the nature that surrounded him, which he loved, in Bregaglia as well as in Upper Engadine. And he was able to express this love and this enthusiasm in his painting. It is this kind of emotional as well as sensual, perceptual values that - in addition to his virtuosity as a painter - make up the immense suggestive power of his works.
When this painting was created around 1912, his financial situation had consolidated after difficult beginnings. Exhibitions in renowned museums and galleries, for example in Zurich, Geneva or Munich, had contributed to this; important Swiss collectors had become aware of him, including Oscar Miller, Richard Kisling, Josef Müller, Richard Bühler and Hedy Hahnloser. In 1922, Karl Balsiger also became a collector. He was a Solothurn factory owner who was on friendly terms with the artist and expressed his admiration in a collection comprising at least 28 pictures. The present work was also amongst the pieces of art which have remained in family possession until the present day."
We would like to thank Viola Radlach, Zurich, for the catalog text.
Die Preislimite liegt in der Regel ca. zwischen 1/2 bis 2/3 der Schätzung. Schriftliche und telefonische Gebote werden über das Login, E-Mail (info@dobiaschofsky.com), Fax +41 31 560 10 70 und per Brief entgegengenommen.